.
Heute wollen wir ein heikles Thema ansprechen: Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen. Ab wann beginnt es, warum ist es so gefählich und welche Folgen bringt es mit sich? Warum wir das thematisieren? Ganz einfach: Die Zahlen sind alarmierend und auch das, was wir tagtäglich in der Praxis sehen. Es ist uns klar, dass wir damit dünnes Eis betreten. Doch wollen wir auf keinen Fall kindliche oder jugendliche Idealmaße propagieren. Nichts liegt uns ferner. Kein Arzt will in die Ecke „Schlankheitswahn und Body Shaming“ schon beim Kleinkind gedrängt werden. Darum müssen wir hier sehr klar differenzieren. Uns geht es um echte, nachhaltige Gesundheitsprävention, der wir uns als Kinder- und Jugendmediziner verpflichtet fühlen.
.
Gesundes Gewicht als Präventionsmaßnahme für eine gesunde Entwicklung
Einer der wichtigsten Schwerpunkte im PREVIMED Gesundheitsforum von Dr. Manfred Praun ist die Prävention. Gemeinsam mit den Eltern wollen wir allem vorbeugen, was die gesunde Entwicklung eines Kindes von Geburt an gefährden könnte. Die Fortschritte in der Kinder- und Jugendmedizin zum Thema Prävention in den letzten Jahrzehnten sind generell beeindruckend. Und so sind die angebotenen Präventionsmaßnahmen in unserer Praxis entsprechend vielfältig und modern, wie z. B. diverse Screeningtests zur Früherkennung von Säuglingskrankheiten oder unsere umfassenden Testungen zum Entwicklungsstand des Kindes. In diesem Beitrag wollen wir allerdings nicht auf die großartigen technischen Errungenschaften der Kinder- und Jugendmedizin eingehen, sondern auf etwas, was enorm viel Bedeutung hat und was unserer Meinung nach viel zu wenig thematisiert wird: Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen.
Von Haus aus zu dick!
Um Übergewicht bzw. Adipositas zu definieren, werden häufig sogenannte alters- und geschlechtsspezifische Perzentilen verwendet. Von Übergewicht spricht man demnach, wenn der BMI eines Jungen oder eines Mädchens im Alter von neun Jahren bei über 20 – und damit über der 90. Perzentile liegt. Das bedeutet: 90 von 100 Kinder in diesem Alter haben einen BMI unter 20. Nach diesen Referenzwerten sind immer mehr Kinder und Jugendliche übergewichtig. Die Häufigkeit von deutlichem Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter stellen ein weltweites Gesundheitsproblem, das sich auch in Deutschland zeigt. Das bestätigen unsere Erfahrungen in der Praxis ebenso wie die Statistiken des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Zahlen sind alarmierend. Bereits jeder zweite Erwachsene in Deutschland hat Übergewicht. Oftmals beginnen die Gewichtsprobleme aber schon im Kindesalter. Hierzulande ist mittlerweile jedes sechste Kind übergewichtig.
Alarmierende Zahlen
Die Häufigkeit von Übergewicht (einschließlich Adipositas) bei Mädchen und Jungen im Alter von 3 bis 17 Jahren beträgt gemäß der KiGGS Welle 2 – einer großangelegten Gesundheitsstudie des Robert-Koch-Instituts – 15,4 %. Die Häufigkeit von Adipositas liegt bei 5,9 %. Dabei zeigen sich keine großen Geschlechterunterschiede. Sowohl die Übergewichts- als auch die Adipositashäufigkeit steigen mit zunehmendem Alter an. Der Anteil von übergewichtigen Kindern liegt bei den 3- bis 6-jährigen Mädchen bei 10,8 % und bei den Jungen bei 7,3 %. Er steigt auf 16,2% bei den 14- bis 17-jährigen Mädchen bzw. 18,5 % bei den Jungen in dieser Altersgruppe an. Die Tendenz ist stabil – allerdings auf Gewichtsniveau.
Kein Body Shaming, sondern echte Gesundheitsgefahr
Die Zahlen unterstreichen es: Es geht dabei nicht um süßen Babyspeck, sondern um Übergewicht mit höchst negativen Folgen für die Gesundheit des Kindes. Der Grundstein für Übergewicht wird dabei bereits vor Eintritt in die Schule gelegt. Adipositas manifestiert sich schon früh in der Kindheit. Wir als Kinderärzte können dies bestätigen, und doch meiden einige von uns das heikle Thema. Dabei wollen wir auf keinen Fall kindliche oder jugendliche Idealmaße propagieren. Nichts liegt uns ferner. Kein Arzt will in die Ecke „Schlankheitswahn und Body Shaming“ schon beim Kleinkind gedrängt werden. Darum müssen wir hier sehr klar differenzieren. Uns geht es um echte, nachhaltige Gesundheitsprävention, der wir uns nun mal verpflichtet fühlen. Darum sprechen wir in der Praxis für Kinder- und Jugendmedizin in Gilching auch an, was keiner hören will: Ihr Kind ist zu dick – im Vergleich zu anderen Kindern derselben Altersgruppe!
Jedes Kind ist anders und jedes Kind entwickelt sich auch anders. Darum ist es auch so schwer Übergewicht bei Kindern zu definieren und eine einheitliche Maßeinheit für „zu dick“ herauszugeben. Die Arbeitsgemeinschaft für Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) empfiehlt bei Kindern wie bei Erwachsenen den so genannten Body Mass Index (BMI) zur Beurteilung des Körpergewichts heranzuziehen. Der Body Mass Index beschreibt das Verhältnis von Körpergewicht und der Körperoberfläche und hat als Maßeinheit kg/m2. Ab einem BMI von 25 gilt ein Erwachsener als übergewichtig und hat damit ein leicht erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen. Ab 30 gilt er als fettsüchtig, d.h. adipös. Die Einteilung für Kinder und Jugendliche ist deutlich komplizierter, da im Verlauf des Wachstums unterschiedliche Grenzwerte gelten. Somit ist der Vergleich des BMI Wertes nur in Betrachtung der oben beschriebenen Perzentilen möglich.
- Die AGA teilt z.B. 3-7-jährige Jungen ab einem BMI von etwa 18 als übergewichtig ein, ab einem BMI von etwa 19-20 gelten sie als adipös – hier empfiehlt sich spätestens ein Einschreiten.
- Für Mädchen dieses Alters gelten die gleichen Werte.
- Bei 11-jährigen Mädchen und Jungen ist ein Wert ab 24 kritisch, bei 16-Jährigen ab etwa 28.
Individuelle Beurteilung von Übergewicht bei Kindern
Lassen Sie uns noch einmal betonen: Diese Referenzwerte und oberen Grenzwerte müssen alters- und geschlechtsabhängig angewandt werden, um im Einzelfall Rückschlüsse ziehen zu können. Aufgrund der körperlichen Entwicklung sind bei Kindern Veränderungen der Fettgewebsmasse in einem bestimmten Ausmaß auch normal. Insgesamt ist die Feststellung des Übergewichts eine klinische Blickdiagnose. Wir kennen unsere Patienten meist sehr gut und schon recht lange. Aus ärztlicher Sicht können wir genau unterscheiden, ob ein Kind gesundheitliche Nachteile haben wird aufgrund seines Übergewichtes. Und nur darum geht es: Hier rechtzeitig die Bremse zu ziehen, bevor sich Erkrankungen und psychische Probleme manifestieren.
Warum ist Übergewicht bei Kindern so gefährlich?
Die Wahrscheinlichkeit, dass kleine Kinder mit Adipositas „von alleine“ wieder zu Normalgewicht zurückkehren, ist verschwindend gering. Diese Effekte konnten in einer großen Längsschnittstudie nachgewiesen werden. Darin analysierten die Wissenschaftler Daten zum Gewichtsverlauf von 51.505 Kindern aus dem CrescNet Register im Alter von 0 und 18 Jahren. Das Kleinkindalter von zwei bis sechs Jahren ist das kritische Alter des Gewichtsanstiegs. In ihrer statistischen Analyse konnten die Forscher feststellen, dass in den ersten zwei Lebensjahren die Chancen für Kinder, die adipös waren, später zu einem Normalgewicht zurückzukehren gerade einmal bei 50:50 stehen. Waren die Kinder hingegen schon drei Jahre alt, waren es nur noch knapp zehn Prozent – das bedeutet: Rund 90 Prozent dieser Kinder waren auch als Jugendliche übergewichtig oder adipös.
Wir stellen in der Praxis bei übergewichtigen Kindern Krankheiten fest, die sonst nur Erwachsene haben:
- Altersdiabetes: bei etwa einem Prozent der Übergewichtigen ab Beginn der Pubertät
- Bluthochdruck: bei etwa jedem dritten übergewichtigen Kind
- Gicht: bei etwa jedem fünften übergewichtigen Kind
- Fettstoffwechsel-Störungen: bei etwa jedem vierten übergewichtigen Kind
- Fettleber: bei bis zu jedem zehnten übergewichtigen Kind.
Kinder mit zu vielen Pfunden neigen außerdem zu Hautproblemen, wie z. B. Pilzinfektionen. Das Übergewicht beansprucht übermäßig die Gelenke; diese nutzen sich früher ab und schmerzen. Ein wachsendes Problem ist das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS). Im Schlaf steht den Kindern immer wieder der Atem still; erst der Sauerstoffmangel als Alarmreiz lässt die Atmung wiedereinsetzen. Erholsam schlafen können diese Kinder so nicht. Folglich sind sie am nächsten Tag müde und unkonzentriert oder sie sind hyperaktiv und können Symptome wie die von AD(H)S aufweisen.
Selbst wenn ein Kind wieder abnimmt, verschwinden diese Begleiterkrankungen nicht unbedingt. Die Blutgefäße und Organe können schon früh Schädigungen erleiden, die unter Umständen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Zum Beispiel können übergewichtige Kinder bereits schon Vorstadien von Gefäßverkalkung haben. Zudem sind übergewichtige Kinder im Erwachsenenalter deutlich gefährdeter, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Der dauerhaft erhöhte Blutzucker schädigt zudem Nerven, Nieren und Augen. Hat ein Kind gleich mehrere Erkrankungen infolge des Übergewichts, steigt die Gefahr deutlich, früher zu sterben. Das klingt hart, ist aber so! Dem müssen Sie als Eltern ins Auge blicken.
Übergewicht bei Kindern – auch die Seele leidet
Übergewichtige Kinder tragen auch in der Schule und unter ihren Gleichaltrigen schwer. Selbst wenn wir als Kinderärzte sie schonen, Kinder sind hart und nehmen kein Blatt vor den Mund. Somit sind Kinder und Jugendliche mit Adipositas häufiger Mobbing und Anfeindungen ausgesetzt als ihre normalgewichtigen Altersgenossen. Sie leiden unter Depressionen, Angststörungen, psychosomatischen Beschwerden – und essen als Ausflucht. Ein Teufelskreis, dem sie nur schwer entkommten
Dieses Szenario wünschen wir keinem Kind und auch Ihnen als Eltern nicht. Darum setzen wir uns so vehement und frühzeitig für die Prävention all dieser Spätfolgen ein. Darum handeln wir. Helfen Sie mit!
Gute Ernährung, viel Bewegung im Freien, wenig Süßigkeiten und Snacks sowie eine eingeschränkte Medienzeit könnn schon viel bewegen! Ist Ihr Kind bereits übergewichtig stehen wir Ihnen tatkräftig zur Seite und beraten, wie wir das gemeinsam änderm können!
Bildquellen:
Boy eating fast food: shutterstock.com | credits @ Africa Studio
Asian Boy Lung Check: shutterstock.com | credits @ kwanchai.c
Happy girls: istockphoto.com | credits @ splendens